Donnerstag, 15. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I) - Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge



Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I)

I. Sakrale Riten als Medium irdischer ständischer Machtgefüge


Aus der sehr alten Meinung, bei der Abendmahlsfeier, die Jesus den Zwölfen am Abend vor seiner Hinrichtung geboten hat, handle es sich um ein „Opfer“ (sacrificium), ergeben sich alle Probleme der späteren Jahrhunderte. Diese Prämisse hat die gesamte Kirche in ein unlösbares und weitverzweigtes gedankliches Dilemma geführt und ist Ausdruck des verdorbenen Ackers.
Im NT findet sich tatsächlich keine Stelle, die diese gebotene Feier als „Opfer“ kennzeichnet. Die entsprechenden Texte geben nicht im mindesten das her, was die Kirche später hineingelesen hat. Die Rede Jesu, Brot und Wein seien sein Fleisch und Blut, deuten selbst dann, wenn man glaubt, das sei buchstäblich sein Fleisch und Blut, kein rituelles „Opfer“ an.
Ein guter Teil innerkirchlicher Streitigkeiten besteht daher von alters her aus Ritenzerwürfnissen: inwiefern ist  das ein „Opfer“, ab wann werden die natürlichen Gaben zu Fleisch und Blut und wer darf diese „Wandlung“ rituell vollziehen oder herbeibitten. Andererseits muss man fragen, ob der Vorwurf, die Liturgiereform 1970 habe ein „neues“ Verständnis der Eucharistie installiert, der v.a. von Traditionalisten vertreten wird, sachlich überhaupt zutrifft.
Ich möchte mit der letzten Auseinandersetzung unserer Tage beginnen und mich vorsichtig rückwärts durch die Zeit arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich, trotz der vorhandenen Verwirrung, ein wenig Klarheit zu bekommen.

Der „novus ordo missae“ geht zurück auf Impulse aus der ökumenisch ausgerichteten Liturgischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh und ihres Haustheologen, Romano Guardini, und des Laacher Benediktiners Odo Casel OSB, der in den 20er Jahren seine „Mysterientheologie“ entwickelte, die die Eucharistiefeier als eine Mysterienfeier im antiken Sinne auffasste und deutete. Eine Beziehung zum alttestamentlichen Tempelkult wurde nicht hergestellt. In Maria Laach wurden nach dem 1. Weltkrieg ab 1918 sogenannte „Gemeinschaftsmessen“ gefeiert, die dem heutigen „novus ordo missae“ sehr nahekommen, aber immer noch stark an die überlieferte tridentinische „missa lecta“ gebunden waren. Sie stellen faktisch einen Zwischenschritt zwischen dem „usus antiquior“ und dem „novus ordo“ dar und wurden vom Vaticanum II als Impuls für eine liturgische Erneuerung aufgefasst. Diese „Gemeinschaftsmessen“ waren zunächst seitens Roms nicht gern gesehen.
Mit dem Beginn des Nationalsozialismus 1933 und nach dem Konkordat konnten sie sich im deutschsprachigen Raum jedoch massiv durchsetzen. Die deutschen Bischöfe erklärten 1936 in ihren „Richtlinien zur katholischen Seelsorge“, dass diese Messform sogarfür den Gottesdienst der Jugend kirchenamtlich geboten“ sei.[1]
Es war schließlich der wegen seiner teilweise dem NS-Staat huldigenden Haltung hochumstrittene Kardinal Bertram von Breslau, der von Rom 1943 einen Indult für die Feier der Gemeinschaftsmesse erhielt. Die verworrene Lage des Katholizismus während der 12 Jahre des Nationalsozialismus gibt Fragen auf und lässt erahnen, dass manche Zuordnung, die später vorgenommen wurde, anders gesehen werden müsste: die Gemeinschaftsmesse gehört nicht etwa in einen „linken“ oder „protestantisierenden“, „liberalen“ oder gar (marxistisch) „sozialistischen“, sondern viel eher in einen ultramontanen, korporativ gedachten, faschistisch ausgerichteten Kontext, wenngleich selbstverständlich nicht alle Verfechter dieser Bewegung sich selbst dort verortet sehen wollten, so wie auch heute viele Freunde des „novus ordo missae“ mit der Messreform von 1970 ganz andere ideologische Strukturen verwirklicht glauben, als das in Wahrheit der Fall ist.
Oder anders gesagt: Die Frontlinien der liturgischen Auseinandersetzung spiegeln nicht „traditionelle“ und „protestantische“, nicht „rechte“ oder „linke“ Standpunkte, sondern gehören beide in dasselbe ständische Modell von „Kirche“, das neuere aber führt das ältere in seiner merkwürdigen Verklammerung eines „Sozialismus“ für die „Herde“ und eines knallharten Neofeudalismus für die „Hierarchie“ auf eine ebenso graue wie schillernde Spitze. Das erste beließ den Laien-Gläubigen (noch) in indivualisierter Andacht, das zweite aber fordert ihm gleichgeschaltetes und reguliertes Mittun ab. Durch einen zugelassenen Wildwuchs werden die Menschen im Glauben gelassen, sie hätten hier einige Freiheiten, die sie vorher nicht hatten. Ich werde zeigen, dass das eine Täuschung ist.
Mir ist bewusst, dass diese These viele überraschen, vielleicht ärgern wird.

Am nächsten kommt der Wahrheit wohl — gegen den Strich verstanden — Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., mit seiner Meinung, es sei kein wesentlicher Unterschied zwischen der älteren und der neueren Liturgie. Viele der Kontrahenten auf beiden Seiten haben Anstoß genommen an dieser Sicht in seinem Motu proprio „Summorum pontificum“ von 2007 und dem Begleitschreiben an die Bischöfe. Die Kirche kann naturgemäß, wenn man unterstellt, sie müsse überhaupt so etwas wie eine Liturgie bzw. einen Kult haben, nur eine Liturgie, nur einen Kult haben, und niemand kann im Ernst glauben, dass sie, nachdem sie dies einmal so felsenfest und aggressiv etabliert hat, dieses Markenzeichen ihrer Macht einfach aufgäbe! Dieser Kult ist konstitutiv für das gesamte Kirchenbild, das sich seit der konstantinischen Wende immer weiter verfestigt und durchgesetzt hat. Das Machtinteresse der Kirchenmänner wird jeglichen liturgischen oder kultischen Bruch verhindern. Es geht um nichts Geringeres als den selbstreferentiellen Anspruch, sie seien ein „alter Christus“, ein „anderer (zweiter) Christus“, ihm wesenhaft näher und ihn mehr abbildend als jeder andere Gläubige. Die Weihe präge ihnen ein „Wesensmarkmal“ auf, das allen anderen fehlt. Sie wiegeln zwar stets ab, dass sie sich damit über alle anderen stellen und betonen ihre Gleichheit mit dem Volk, aber sie lügen uns an: das Sakrament der Weihe meint objektiv eine substanzielle Erhöhung der Priester über die anderen und schreibt dem Priester das Wesen Jesu mehr zu als anderen Christen. Aber auch die kirchlichen Schreiben zeigen eindeutig, dass es so ist, wie ich es sage (s.u.). Man sagt uns, Jesus habe das so gestiftet. Wer aber das NT danach durchsucht, findet nirgends etwas von einer solchen theokratisch-korporativen Stiftung.
Ob der Gläubige möglicherweise spürt, dass hier geistliche Unstimmigkeiten im Raum stehen, ob er vielleicht ahnt, dass das alles nicht zu Jesus Christus passt, ist eine andere Frage als die, ob die Kirche einen „Bruch“ vollzogen habe. Ich sehe keinen Bruch, und werde das erklären. Die heutigen Änderungen bedeuten nicht zwingend einen Bruch, sondern sind eher bestürzende Zuspitzungen dessen, was bereits keimhaft angelegt war.
Der „novus ordo missae“ ist nach dieser „Logik“ eine Entfaltung dessen, was in der Messe Pius V. bereits begonnen hatte. Nicht von Ungefähr kommt es, dass sowohl Pius V. nach dem Trienter Konzil im 16. Jh, als auch 400 Jahre später Paul VI. nach dem Vaticanum II behauptet haben, sie hätten auf die ältesten liturgischen Vorlagen der Kirche zurückgegriffen. Wenn das wahr wäre, müsste man zurückfragen, was das für Vorlagen gewesen sind.[2] In beiden Fällen aber führten diese ältesten Vorlagen zu einer Messreform und können, vorausgesetzt es handelt sich um dieselben Quellen und vorausgesetzt, sie sind sorgfältig berücksichtigt worden, nicht zu einem konträren Ergebnis geführt haben, auch wenn es manchen so erscheint und darum eine erbitterte und zerstörerische Debatte geführt wird, die maßgeblich durch die Anhänger Erzbischof Marcel Lefebvres (+) und dessen Priesterbruderschaft des hl. Pius X. (FSSPX), Sedisvakantisten und Altrituelle innerhalb der „Amtskirche“ am Leben erhalten wird.

Doch zunächst schauen wir an, was die „Gemeinschaftsmesse“ nach dem einfachen Verständnis vieler sein wollte:
Die Gemeinde sollte wieder — nach der jahrhundertelangen, wachsenden Verdrängung der Gläubigen in die indivualisierte Andacht und eine handgreifliche Scheidung zwischen „Hierarchie“ („heiliger Rangordnung“) und „Herde“ — in das vorausgesetzte „mystische“ Geschehen am Altar als „tätige Teilhaberin“ einbezogen werden. Die Verdrängung der Gläubigen aus dem Geschehen der Messfeier war mit der forcierten ständischen Trennung von Klerus und Laien, aber auch mit der Modifikation des christlichen Gottesdienstes in alter Zeit geschehen. Eine „Schere“, wie man modern sagt, war immer weiter „aufgegangen“. Die Laien wünschten, in Zukunft wieder ihren vermeintlich „urchristlichen“ Platz als „Mysthen“ in der Zelebration des „Pascha-Mysteriums“ zu „zurückzuerhalten“.
Ob allerdings die seitens der Hierarchie gewollten liturgischen Reformbewegungen an der Beseitigung dieses ständischen Missstandes interessiert waren, kann man bezweifeln.
Zunächst ist Vorsicht geboten mit jeglicher Euphorie bezüglich des Begriffes der „participatio actuosa“ (tätige Teilnahme) des Laien am Messgeschehen. Der Begriff taucht amtlich erstmalig in einem Motu proprio Pius X. 1903 auf: „Tra le sollicitudini“. Häufig wird eine Verbindungslinie zwischen Pius X. und der liturgischen Bewegung mit ihren gemeinschaftlichen Anliegen gezogen. Sein Ansatzpunkt scheint der liturgischen Erneuerungsbewegung, die im 19. Jh von Dom Guéranger und Solemnes und dem Cäcilianismus ausging, nahezustehen: Entrümpelung aller in die Messe hineingewachsenen Aktionen und Motive seitens der Völker und ihrer kulturellen Eigenheiten, Rückkehr zur Gregorianik und die Restauration des Lateinischen als alleiniger Liturgiesprache, der Rauswurf aller instrumentalen und modernen harmonischen Kompositionstechniken und die Rückkehr zu den „Alten“, worunter er Palestrina versteht und die radikale Verbannung sämtlicher volkssprachlicher Elemente, selbst der jahrhundertealten deutschen Messgesänge, die niemals ein Problem waren oder verboten worden wären.[3]
Pius X. untersagte jegliche volkssprachliche liturgische Äußerung, obwohl dies seit dem Ende des 16. Jh in der deutschsprachigen Kirche überall üblich und kirchlich auch erlaubt war, schloss Frauen kategorisch aus dem Gesang aus, weil das angeblich „alter Brauch“ sei, schloss jegliches Instrumentalspiel (ausgenommen die Orgel) aus, obwohl in Italien und Österreich Instrumental- und Orchestermessen von allen bedeutenden Tonsetzern, aber auch in den Klöstern, auch den Frauenklöstern (wie in dem „Musik“-Kloster Nonnberg bei Salzburg), seit Jahrhunderten nicht nur in großer Zahl komponiert, sondern auch kirchlicherseits gerne zelebriert wurden, und forderte ein rigoroses ständisches Modell für den Gottesdienst, das die erhöhte Priesterkaste von den Laien abgrenzte und letzteren eine faktisch vollkommen passive, akklamierende Rolle zuordnete, die irreführend als „participatio actuosa“ benannt wurde. Ihre „Teilhabe“ bestand in einer künftig bewussteren, kollektiven kultischen Formung, um danach im Alltag als „Gesendete“ der Hierarchie deren Vorgaben in Familie, Politik und Gesellschaft zu erfüllen. Im Rahmen eines ständischen Modells fiel den Laien die Aktion zu, dem zu huldigen und sich dem zu ergeben, was die Führerkaste ihnen vorgab. Eine „aktive Teilhabe“ im egalitären  Sinne war bei Pius X. jedenfalls nicht gemeint.
Davon kann — anders als es viele glauben — auch nach dem Vaticanum II keinerlei Rede sein, das ausdrücklich weiterhin ein ständisches Modell vertritt, dies aber hinter salbungsvollen Worten verbirgt. Das Vaticanum II verstärkt mehr als jedes Konzil zuvor das klassische „suum cuique“ („Jedem das Seine“), obwohl es im 20. Jh in der Kirche und in der Politik zu schaurig-zynischer Bedeutung gelangt war[4]:

„In der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art. Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar.“[5]

Die Eucharistiefeier ist eben nicht nur allgemeiner Ausdruck der Gemeinschaft aller Gläubigen, sondern drückt dieser Gemeinschaft einen feudalistischen oder pseudofeudalistischen Stempel auf: Hier agieren Herren und Knechte, auch wenn sie alle dasselbe Brot essen — es ist ganz klar, wer das Brot „herstellt“ („wandelt“), deshalb auch verwaltet und verteilt. Es geht nicht um eine Vielfalt der Gleichen, sondern um Oben und Unten, um Hoch und Niedrig, um „mehr-gottabbildend“ und um „weniger-gottabbildend“.
Es ist angesichts der Tatsache, dass im Vaticanum II entgegen allen Hoffnungen, die auch die Liturgische Bewegung beflügelt haben mögen, unbeirrt das ständische Modell vertreten wurde, fraglich, ob die Liturgische Bewegung diesen Begriff der „participatio actuosa“, die Vorgabe Pius X. verfremdend, nicht irrtümlich „demokratisch“ auffasste. Anders: Man beließ die Laien in einer falschen Hoffnung auf Reform und nutzte ihr Engagement dazu, ein theoretisch noch rigideres Modell ins Werk zu setzen als das, das sie für reformbedürftig hielten.
Joseph Ratzinger schreibt, der „’Kult’, in seiner wahren Weite und Tiefe verstanden“, reiche hinaus über die „liturgische Aktion“. Die „participatio actuosa“ meint also nicht das bloße „aktive“ Mittun während der Messe in Form von Lektoren-, Kommunionhelfer- oder sonstigen Diensten, sondern eine totale Formung des Gläubigen durch die Hierarchie, um dadurch im Auftrag der Führer zum Zwecke einer bestimmten Repräsentanz der Hierarchie in den Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Geltung zu verschaffen, auf die sie naturgemäß weniger Zugriff hätten.

„Er (der Kult, Anm. HJ) umfasst letztendlich die Ordnung des ganzen menschlichen Lebens. (…) Anbetung, die richtige Weise des Kultes, der Gottesbeziehung, ist konstitutiv für die rechte menschliche Existenz in der Welt; sie ist es gerade dadurch, daß sie über das Leben im Alltag hinausreicht…“[6]

Ratzinger will genau dies im Gegensatz zum „Götzendienst“ sehen, der die kultische Gemeinde „innerweltlichen Mächten und Werten“ zuwende und damit die „Freiheit“ zum Verfall bringe.[7]
Nun ist aber schon hier zu fragen, ob er damit das Selbstverständnis der „Götzendiener“ überhaupt richtig referiert oder nicht vielmehr in seinem Sinne beurteilt, und ob sich der kirchliche „Kult“, unvoreingenommen und nüchtern betrachtet, wirklich so essentiell von dem der „Götzendiener“ unterscheidet oder ihm nicht sogar erschreckend ähnlich ist.
Dass man das Amt der Laien keineswegs als ein eigenständiges, selbstverantwortetes Amt auffasst, sondern als einen verlängerten Arm der Hierarchie in alle Winkel des gesellschaftlichen Lebens hinein, belegt auch später die dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ des Vaticanum II von 1964. Viel Raum nimmt darin die Erklärung ein, dass sich die Kirche überall ausbreiten müsse und die ganze Menschheit unter einen Hirten zu bringen habe:

„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Joh 11,52) (…)“[8]

Man kommt nicht umhin, sich hier an frühe Worte aus der Genesis erinnert zu fühlen, an die Erzählung des Turmbaus zu Babel:

„3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.
6 Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen.
7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.
8 Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.
9 Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.“ (Gen 11)

In der ganzen Heiligen Schrift finden wir nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass das „Menschengeschlecht“ in diesem Äon wieder politisch und religiös eins werden soll. Das Pfingstereignis hat für die Christgläubigen die Verwirrung der Sprachen für einen heiligen Moment der „Vorausschau“ aufgehoben, aber, wie wir wissen, nicht bleibend. Christen sind nach wie vor in Nationen geteilt und müssen mühsam fremde Sprachen lernen. Die kommende und perfekte Einheit von Menschen in Christus ist ausgelagert auf das Himmlische Jerusalem. In diesem Äon wird Unkraut neben Weizen, Bock neben Schaf aufwachsen, wie vielfach bezeugt wird. Erst beim Jüngsten Gericht werden sie voneinander endgültig geschieden. Diese Einheit eines Teils des Menschengeschlechtes mit ihrem Herrn wird nicht alle Menschen umschließen. Auch das ist eindeutig und häufig im NT ausgesagt. Es geht also nicht primär um die Einheit des Menschengeschlechtes, sondern um die Einheit der wahren Kinder Gottes mit dem Herrn!
Warum lehrt die Kirche hier eine abweichende Lehre?
Wie stellt sich die Kirche diese irdische Welteinheit vor?
Dies geschieht auf gar keinen Fall „demokratisch“, sondern in demselben ständischen Sinn, der schon zuvor dogmatisch festgelegt worden war:

„Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt.“[9]

Diese „feierliche Erklärung“ des Dogmas von 1870 kommt einer bestätigenden Verdoppelung der Papstdogmen gleich, eine Aussage, die das Vaticanum II mW keinem anderen Dogma angedeihen ließ.
In langen Kapiteln wird anschließend die Machtstellung der Bischöfe dargelegt. Zu guter Letzt erwähnt die Konstitution auch die Rolle der Laien. Und hier tritt uns wieder das „Jedem das Seine“ entgegen:

„Die geweihten Hirten wissen sehr gut, wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen. Sie wissen ja, daß sie von Christus nicht bestellt sind, um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern daß es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, daß alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten.“[10]

Dieser Passus drückt entweder ein neofeudalistisches oder geradezu klassisch ein korporativ-faschistisches Ständemodell aus, und es wundert mich, dass das so gar niemandem auffallen wollte. Wie konnte man an einen „Geist des Konzils“ glauben und übersehen, dass dieses Konzil an den entscheidenden Punkten, den quälend empfundenen Weg der „Kirche“ noch fester vertäute, als dies zuvor der Fall war.
Die Unterordnung der Laien unter die Führer-Vorgaben der Hirten wird — unter erneuter, herablassender Behauptung des „suum cuique“ — mehrfach und unbeirrt wiederholt, etwa hier:

Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind. Die Hirten der Kirche sollen nach dem Beispiel des Herrn einander und den übrigen Gläubigen dienen, diese aber sollen voll Eifer mit den Hirten und Lehrern eng zusammenarbeiten. So geben alle in der Verschiedenheit Zeugnis von der wunderbaren Einheit im Leibe Christi: denn gerade die Vielfalt der Gnadengaben, Dienstleistungen und Tätigkeiten vereint die Kinder Gottes, weil "dies alles der eine und gleiche Geist wirkt" (1 Kor 12,11).“[11]

Man möge mir verzeihen, aber die Parole „Ein Volk - ein Reich - ein Führer“ ist diesem so ungeschminkt verweltlichten kirchlichen Modell keineswegs unähnlich. Und selbstverständlich verschanzt man sich hinter der Schutzbehauptung, die Oberen innerhalb der „Heiligen Rangordnung“ („Hierarchie“) seien „Brüder“ und „Diener“, aber weder formell noch strukturell noch jurisdiktionell sind sie es: sie sind samt und sonders Herren, und es ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte, dass Herren niemals freiwillig zu Dienern werden und ihre Privilegien und Machtbefugnisse aufgeben. „Die Brüder“ und „Diener“ haben selbst diese anscheinend so egalitären Titel zu Herrschaftstiteln umgemünzt: nur der Papst darf sich „servus servorum Dei“ nennen seit den Tagen des Mittelalters. Ein Laie darf sich nicht „Diener“ nennen. Laien sind vielmehr die Leibeigenen der „Diener“…
Und als ob es damit noch nicht genug wäre mit der Betonung der Knechtschaft der Laien um der Sammlung unter einem irdischen Hirten willen, geht es in diesem Stil noch autoritärer und anmaßender weiter. Man muss sich vor Augen halten, dass die, die solches prä-dogmatisch„definieren“, sich dreist selbst diese Autorität zusprechen und den anderen huldvoll Unterwerfung und die Rolle als Erfüllungsgehilfen „höherer Interessen“ zuweisen. Der Laie soll Dachshund in den Erdwinkeln sein, an die der Arm der Geweihten nicht hinreicht:

Wie die Laien aus Gottes Herablassung Christus zum Bruder haben, der, obwohl aller Herr, doch gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28), so haben sie auch die geweihten Amtsträger zu Brüdern, die in Christi Autorität die Familie Gottes durch Lehre, Heiligung und Leitung so weiden, daß das neue Gebot der Liebe von allen erfüllt wird. Daher sagt der heilige Augustinus sehr schön: "Wo mich erschreckt, was ich für euch bin, da tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil." (…)[12]
„Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst.“ (…) Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann. So ist jeder Laie kraft der ihm geschenkten Gaben zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche… (…) Außer diesem Apostolat, das schlechthin alle Christgläubigen angeht, können die Laien darüber hinaus in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden. (…) Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen.“[13]

So kann man es auch ausdrücken: Der Sklave hat die „Befähigung“, zu gewissen Ämtern „herangezogen zu werden“. Solche Passagen entbehren nicht eines gewissen Zynismus, aber auch das ist scheinbar unbemerkt geblieben.
Der Fall ist eindeutig: alle nachkonziliaren Träume von einer Demokratisierung oder einer Re-Spiritualisierung der geistlichen Aufgaben finden sich nicht nur nicht in diesem Dokument, sondern sie sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Laie ist die Infanterie, das Kanonenfutter der Hierarchie im Kampf um die Weltherrschaft. Und wenn der Hl. Geist einen Laien etwa besonders befähigt, wird er an der erwähnten „Prüfung“ durch einen Hierarchen nicht vorbeikommen. Weist die Hierarchie den frei wirkenden Hl. Geist ab, hat er keineswegs die größere Autorität über die menschlich-hierarchische, sondern muss ihr weichen. Ist es das, was Christus „gestiftet“ hat?
Die Marschrichtung ist, wie gesagt, hierarchisch, ständisch, konzeptionell faschistisch: eine selbsternannte Elite, die ihre ökonomischen, politischen und geistlichen Kräfte bündelt, sammelt durch ihr providentielles, quasigöttliches Anführertum die „Gaben“, gerne auch das Geld der Laien, über die sie der Form und dem Inhalt nach und hinsichtlich jeder einzelnen Person („suum cuique“) bestimmt, in ihr „Liktorenbündel“, um am Ende eine Weltherrschaft der Kirche zu erreichen, die als Ziel der Sendung der Kirche behauptet wird. Es wird eine primitive Gleichung aufgestellt: Was Gott will ist immer das, was die Hierarchie will.
Seit 500 Jahren ergab sich durch den vermessenen Versuch alchemistischer und astrologischer Wirrköpfe, bestimmen zu wollen, wie die Gestalt der Erde ausschaut und inwiefern sie damit auch abgeschlossen und begrenzt ist, für die nachreformatorische Machtkirche ein perfekter Anhaltspunkt, die Welt als Ganze in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Die Kirche in der Auseinandersetzung mit Galilei warf ihm nicht vor, dass er von der Lehre des AT abging, sondern dass er keine Beweise geliefert habe für die ansonsten doch sehr willkommene Sichtweise, die er verkündete. Selbstverständlich geschieht dieses machttaktische Vorgehen der Kirche unter der weiteren Schutzbehauptung, auf diese Weise versammle man die ganze Menschheit unter dem einen Hirten Christus… Die Möglichkeit, dass ein Laie von Christus bzw dem Heiligen Geist anders instruiert werden könnte, als es der Hierarchie gefällt, ist ausgeschlossen. Die Perspektive des NT, dass diese Welt einem Ende mit Schrecken entgegen geht und ein perverser Abfall von Gott innerhalb der Kirche vor sich gehen wird, blendet die Kirche vollständig aus in diesen Texten, auch wenn sie parallel dazu nach wie vor die Wiederkunft Jesu bekennt, die die Herrschaft des Antichristen beenden wird. Der große Abfall geschieht nicht ohne Christus, sondern er reißt ein Christus-Konstrukt mit sich. Ein solches Christus-Konstrukt mit großen Schwung also umklammernd erscheint ein solcher Abfall womöglich als Aufbruch, Erneuerung oder „Erweckungsbewegung“. Wir befinden uns, wenn wir nicht ganz genau prüfen, in einem Spiegelkabinett.

Genau diese Marschrichtung, die die Kirche seit mindestens 500 Jahren verfolgt, sollte in einer dementsprechend reformierten Liturgie noch stärker Ausdruck finden als in der erstmalig stark zentralisierten Liturgie Pius V. aus dem 16. Jh. Dass dabei selbstverständlich die Frau grundsätzlich im Rang der „Geführten“ und des „Handlangers“ für die hohen Herren sein muss, wird weiterhin bekräftigt. In einer heidnisch gefärbten „Abbildideologie“ kann sie Gott nicht abbilden und darum auch niemals Priester sein. Man kann in postmodernen theologischen Bestsellern genau diese alte Ideologie in Reinform lesen. So verweist Klaus Berger in seinem Buch „Die Urchristen“, das so etwas wie eine Apologetik des Ständemodells trotz anderer wissenschafticher Erkenntnisse darstellt, auf die frühen „schöpfungstheologischen“ Überlegungen der Kirchenväter, die auf Paulus zurückgehen sollen. Demnach gibt es den Schöpfungsbericht in Gen 1 und den in Gen 2. Es ist geradezu ein Hohn, wenn Berger behauptet, man müsse mit den frühen Vätern den Menschen, den Gott in Gen 1 schafft, „christologisch“ verstehen, also in dem Sinne, dass hier eigentlich nur der eine Christus benannt werde. Im zweiten Bericht in Gen 2 erschafft Gott die Frau aus der Rippe Adams. Und darum bilde vorrangig der Mann Gott ab. Nur einer der beiden Menschen also kann Christus abbilden? Nun unterschlägt Berger ebenso wie die frühen Väter, dass im Bericht in Gen 1 ausdrücklich steht, Gott habe den Menschen zu seinem Abbild geschaffen, und dies „männlich und weiblich“ (Gen 1, 26 ff). Gerade die Stelle in Gen 1 gibt keinerlei Hinweis auf einen seinshaften Vorrang des männlichen Wesens. Es gibt in dieser Stelle nicht einmal ein spezielles männliches Wesen. Es gibt den „Adam“ (hebr. "Mensch"), als ein Wesen in zwei Gestalten, „männlich und weiblich“. Diese Beschreibung in Gen 1 wird übrigens wortgleich in Gen 5, 1 f wiederholt: "Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. Als Mann und als Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden." Auch diese Stelle gibt keinerlei Rangfolge zu erkennen, was die Ebenbildlichkeit betrifft! In Gen 2 dagegen, wo der genaueren Umstände der Erschaffung erzählt werden, ist an keiner Stelle von Ebenbildlichkeit die Rede, will hier also nicht auch nicht thematisiert werden. Es ist geradezu abenteuerlich, aus Gen 2 rückzuschließen, dass das, was Gen 1 und Gen 5 aussagen, nicht wahr sei.
Beide bzw alle drei Genesisberichte weisen keinerlei Darstellung einer Rangfolge oder verschiedener Wesen auf, sondern eines Wesens in zwei Gestalten. Dennoch behauptet Berger mit Verweis auf die alte Schriftverzerrung, die er auch bei Paulus erblicken will: „In einer solchen Lektüre Gen 1—2 liegt daher der Schlüssel dafür, dass Jesus Christus nicht durch eine Frau repräsentiert werden kann, sondern nur durch einen Mann. (…) Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren.“[14] Berger beeilt sich zu betonen, dass das natürlich keine „bewusste Diskriminierung“ der Frau bedeute, sondern sich schlicht aus Gen 1 ergebe. Liest man aber Gen 1, steht dort das Gegenteil.
Ob es im NT überhaupt um so etwas wie „repraesentatio Christi“ in diesem kultischen Sinne geht, wurde oft und mit vielen Argumenten bezweifelt, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Eine sehr gründliche und kenntnisreiche, intelligente Studie über die Zuspitzung der Repraesentatio-Ideologie in der römisch-katholischen Kirche verfasste der evangelische Theologe Per Erik Persson 1961 — also noch vor dem Vaticanum II. Er kommt zu dem Schluss, dass das Konzept einer vermittelten Gnade in Sakramenten zwingend zu einer Überspannung des Repraesentatio-Gedankens kommen muss. Das Konzept von „Gnade“ und „Verdienst“ erfordert eine immer schärfere Trennung dessen, was gnadenhaft und was verdienstlich ist. Es ist dieses Konzept, was in der Trennung von Amtsträgern und Laien abgebildet wird. Wenn die sichtbare, institutionelle Kirche der „fortlebende Christus“ sein soll, eine „Verlängerung dessen, was mit der Inkarnation begann“, dann bedarf es tatsächlich einer Repräsentation. Persson zeigt anhand vatikanischer Quellen auf, dass dabei dem Weiheträger eine repraesentatio in zwei Richtungen zukommt. Er repräsentiert sowohl Christus als auch das Volk. Die repraesentatio schafft damit einen halbgöttlichen Zwischenstand.[15] Die verbissene Zuspitzung dieses Modells schreibt er der antiprotestantischen Ambition der katholischen Theologie nach der Reformation zu. Er erblickt im Jahr 1961 auf katholischer Seite ebenso eine Lockerung dieser Verkrampfung, auch die Bereitschaft, überhaupt von den Laien und ihren Aufgaben zu sprechen, aber er sieht klar, dass das niemals zu einer Verwischung der Grenze zwischen Hierarchie und Laien führen wird, wenn die katholische Kirche sich nicht selbst auflösen will. Er zeigt auf, dass die Hierarchie dem Laien der Rede nach Anteil an der prophetischen, könglichen und priesterlichen Funktion zubilligt, dies aber nur um den Preis größerer Unterordnung als bisher. Er analysiert eingehend Lehrschreiben Pius XII. und kommt zu dem Schluss:
„Eine von Laien selbständig betriebene Theologie, die dem Lehramt der Kirche bei- und nicht untergeordnet wäre und von ihr nicht kontrolliert würde, ist eine absolut undenkbare Möglichkeit. Pius XII. betont (…) mit Nachdruck, (…) daß (…) die Unterordnung jeder Art von Laienapostolat unter die göttlich eingesetzte Hierarchie als Selbstverständlichkeit zu betrachten sei. (…) Je intensiver der Laie an der Sendung und Aufgabe der Kirche teilnimmt, desto größer und intensiver wird seine Abhängigkeit und Unterordnung unter die Hierarchie.“[16]
Persson referiert in der Folge dann genau jene Lehre, die wir später in der zweitvatikanischen, dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ finden. Es war also lange vor dem Konzil absehbar, dass sich nichts an der alten Lehre ändern, sondern sie im Gegenteil noch stärker festgezurrt werden würde.

Die Hoffnung vieler erschöpfter Katholiken darauf, dass sich je etwas an diesem Unterwerfungskonzept ändern könnte, ist mit dem Vaticanum II erneut und um ein weiteres erloschen. Ob Frauen oder männliche Laien nun auch „Pastoralreferenten“ oder „Messdiener“ sein dürfen oder Kommunionhelferin oder einmal einen Schrifttext am Ambo vortragen dürfen, ob sie in Pfarrgemeinderäten tönen dürfen, ändert objektiv nichts an der grundsätzlich zuarbeitenden und hörigen Stellung. Auch der griechische Sklave, der den römischen Herrensohn unterrichtete und „belehren“ durfte, wurde dadurch nicht ein Freier. Wir erleben bis heute, wie unerwünschte Entwicklungen ebenso gnadenlos wie zu früheren Zeiten von den Bischöfen und Rom eliminiert oder aus der Kirche getrieben werden. Dass dies gelegentlich auch Kleriker trifft, ändert nichts am Prinzip. Die Kirche opfert für ihr Machtkonzept auch ohne Skrupel ihre lebendigen Heiligen.
Es ist ein Irrtum zu glauben, umfangreichere Aufgabenzuweisungen könnten einen sozialen oder geistlichen Stand verändern. Nur eine bedeutsame Entscheidungskompetenz im Führungsapparat würde den oder die Freie(n) kennzeichnen. Diese Entscheidungskompetenz liegt aber noch rabiater als vor dem Vaticanum II inzwischen ausschließlich beim Klerus. Zuvor konnten tatsächlich gelegentlich Laien und vor allem auch Ordensfrauen sehr hohe Stellungen erhalten — das alles ist seit den Reformen infolge des Vaticanum II ausgeschlossen. Man suggeriert aber in konservativen kreisen, das „Zuviel an Mitsprache“ durch Laien und vor allem Frauen sei schuld an der Kirchenkrise. Objektiv, lehramtlich und auf der rechtlichen Ebene ist das Gegenteil der Fall.
Die aus Sicht der Gläubigen, die — freilich mit einer gewissen logischen Berechtigung — immer noch an der Abrichtung der Katholiken vergangener Tage festhalten, verworrenen Zustände in der Kirche heute sind vielleicht weniger verworren als wir glauben. Der Zustand ist erwünscht und geplant. Warum sonst sollten Päpste sie so zielsicher und ohne Not durch ihre jurisdiktionellen und lehramtlichen Entscheidungen herbeigeführt haben? Auf dem Weg zur totalen Weltherrschaft opfert man auch die überholte Volkskirche zugunsten einer übernationalen neuen, totalitären Struktur, die sich bislang noch verborgen hält, aber erahnbar vorbereitet wird. Viele Gläubige sind mit wahrer Blindheit geschlagen und erkennen nicht, dass an der gegenwärtigen Situation nichts zufällig, sondern alles sorgsam bewacht und gehegt ist, denn die Kirche schlägt sehr wohl hart zu, wenn sie etwas wirklich gar nicht will, gerüchteweise oder aufgrund dubioser Umstände nach wie vor durch Mord und Totschlag.

In der „Konstitution über die Heilige Liturgie“, dem Text „Sacrosanctum concilium“, die das Vaticanum II 1963 als ersten Beschluss herausgab, finden wir dieselben Absichten und Pläne. Es geht um die Sammlung aller Menschen unter einer Herrschaft, nämlich der römischen, die gleichgesetzt wird mit der des guten Hirten Christus:

„Dabei baut die Liturgie täglich die, welche drinnen sind, zum heiligen Tempel im Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maße des Vollalters Christi. Zugleich stärkt sie wunderbar deren Kräfte, daß sie Christus verkünden. So stellt sie denen, die draußen sind, die Kirche vor Augen als Zeichen, das aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird.“[17]

Warum baut die Liturgie den heiligen Tempel Gottes auf? Woher diese Meinung? Und wie sollte sie es sein, die dem Geist Gottes eine Wohnung herstellt? Schafft sich der Hl. Geist nicht selbst seine Wohnung in den Gläubigen? Sagte nicht einst Gott zu David, nicht er könne ihm, der doch Gott ist und keinen Tempel braucht, einen Tempel bauen, sondern er, der große Gott, baue dem Menschen einen Tempel aus dem Königsgeschlecht Davids (2. Sam 7, 4 ff), das ewig währen wird? Was soll das heißen, dass die Kirche behauptet, sie selbst baue mithilfe der Liturgie diesen ewigen Tempel?

Die Ausführungen in „Sacrosanctum concilium“ dagegen klingen der menschlichen Eitelkeit verlockend und „richtig“:

Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, "das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk" (1 Petr 2,9; vgl. 2,4-5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist. Diese volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes ist bei der Erneuerung und Förderung der heiligen Liturgie aufs stärkste zu beachten, ist sie doch die erste und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen.[18]

Doch bevor weitergeredet wird, stellt das Konzil klar, wer hier wem etwas zu sagen hat:

„§ 1. Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof. (…)[19]

Es folgen Ausführungen unter der vielsagenden Überschrift:

Regeln aus der Natur der Liturgie als einer hierarchischen und gemeinschaftlichen Handlung (…)“[20]

Die „participatio actuosa“ wird unter dieser Rubrik aufgeführt. Es scheint durch, dass das gesamte liturgische Geschehen ein „heiliges Theater“ ist, das als vollziehende Gebärde einen Eigenwert zu besitzen scheint (inwiefern genau wäre zu fragen), in dem der Laie allerdings keinerlei bestimmende Rolle innehaben kann, sondern ausschließlich die eines Statisten, der nun besser trainiert werden soll, als dies zuvor der Fall war:

Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden.“[21]

Der solcherart „abgerichtete“ Laie soll die Liturgie v.a. als „Belehrung“ und „Nahrung“ aus der Hand der „Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe beruhen“ annehmen.[22] Indem er vollzieht, wird er indoktriniert. Das „liturgische Leben der Pfarrei“ soll die Beziehung zur bischöflichen Hierarchie vertiefen helfen im Denken und Tun der Gläubigen und des Klerus“.[23]
Die „Liturgische Bewegung“ der ersten Hälfte des 20. Jh wird als „Fügung der göttlichen Vorsehung“ betrachtet, die nun das Konzil aufgreift, um eine liturgische Erneuerung in ihrem Sinne, die sie ohnehin vorgehabt hätte, zu initiieren.[24] Man kann sich ohne Not diese Bewegung aus der Laienschaft heraus zunutze machen für „höhere Ziele“. Doch welche Ziele — neben dem unverhohlenen Weltherrschaftsziel der Kirche — sind das?


[1] Josef Höfer, Karl Rahner (Hg): Lexikon für Theologie und Kirche. Band 4,Freiburg 1960, S. 655 Stichwort „Gemeinschaftsmesse“, vgl. auch
[2] Motu proprio „Summorum pontificum“ kann hier gelesen werden: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2007/documents/hf_ben-xvi_let_20070707_lettera-vescovi.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[3] Was ist eigentlich „Cäcilianismus“? Internetauftritt der Peter Heinrich Thielen-Gesellschaft e.V.: http://www.phtg.de/caecilianismus.html, (abgerufen am 14.2.2018)
[4] Die 1861 zuzeiten Pius IX. vom Großvater von Pius XII. ins Leben gerufene Zeitschrift „Osservatore romano“ trägt bis heute dieses Motto „Unicuique suum – non praevalebunt“ und knüpfte damals und heute an die kirchliche Ideologie von der Gottgewolltheit des Ständestaates und der hierarchischen Ordnung der Kirche an. „Jedem das Seine“ stand über dem KZ-Tor von Buchenwald.
[6] Joseph Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Freiburg 2006. S. 17f
[7] A.a.O., S. 16
[8] A.a.O. 13
[9] A.a.O. 18
[10] A.a.O. 30
[11] A.a.O. 32
[12] A.a.O. 32
[13] A.a.O. 33
[14] Klaus Berger: Die Urchristen. München 2008, S. 240
[15] Per Erik  Persson: Repraesentatio Christi. Der Amtsbegriff in der neueren römisch-katholischen Theologie. Erschienen in der Reihe „Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes, Band 10. Göttingen 1966, S. 94 ff
[16] A.a.O., S. 101 f
[18] A.a.O. 14
[19] A.a.O. 22
[20] A.a.O. unter Rubrik III Abschnitt B
[21] A.a.O. 30
[22] A.a.O. 32
[23] A.a.O. 42
[24] A.a.O. 43